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#Weltordnung #Multipolarität #Geoökonomie #NeueKriege #StrategischeAutonomie #EuropaundSicherheit #USAChinaKonkurrenz #Einflusszonen #WeltinAufruhr
Dies sind die Erkenntnisse aus diesem Buch.
Erstens, Vom unipolaren Moment zur konfliktreichen Multipolarität, Münkler zeichnet den Weg von der kurzen Phase unangefochtener Dominanz der Vereinigten Staaten nach 1990 hin zu einem Zeitalter multipler Machtzentren nach. Der sogenannte unipolare Moment war geprägt von dem Glauben, politische und wirtschaftliche Verflechtung würden automatisch zu einer stabilen, regelbasierten Ordnung führen. Diese Erwartung erwies sich als trügerisch, weil sie unterschätzte, dass Machtkonkurrenz nicht verschwindet, sondern sich in neue Formen kleidet. Chinas rascher Aufstieg, Russlands revisionistische Strategien und die wachsenden Ambitionen mittlerer Mächte haben den Rahmen verschoben. Der Rückzug der USA aus kostspieliger Weltordnungspflege bei gleichzeitigem Festhalten an zentralen Interessen schuf Grauzonen, in denen andere Akteure Räume besetzen konnten. Münkler beschreibt Multipolarität nicht als harmonisches Gleichgewicht, sondern als Wettbewerbsordnung, in der Regeln selektiv interpretiert werden und Legitimität zunehmend aus Erfolg statt aus Verfahren bezogen wird. Konflikte nehmen zu, wenn etablierte Mächte die Kosten ihrer Dominanz scheuen und Herausforderer die Gelegenheit sehen, bestehende Arrangements zu testen. Das zeigt sich im Indo Pazifik, im postsowjetischen Raum, im Nahen Osten und in Afrika. Multipolarität bedeutet dabei keine Gleichverteilung von Macht, sondern eine ungleiche Landschaft aus Schwergewichten, regionalen Ordnungsmachern und beweglichen Scharnierstaaten, die situativ koalieren. Dadurch wird Vorhersehbarkeit geringer und Hedging Strategien verbreiten sich. Münkler betont, dass diese Lage strategische Geduld, klare Prioritäten und robuste Resilienz verlangt. Wer in multipolaren Konstellationen bestehen will, muss Abhängigkeiten managen, Interessen artikulieren und eigene Kapazitäten aufbauen, statt auf automatische Stabilisierung durch Institutionen zu hoffen. Er arbeitet heraus, weshalb die nächste Phase der Weltordnung weniger durch große Verträge als durch praktische Arrangements, Fähigkeiten und glaubwürdige Abschreckung geprägt sein wird. Multipolarität wird so zu einer Schule realistischer Politik, die Ambitionen mit Ressourcen abgleichen und komplexe Interdependenzen aktiv steuern muss.
Zweitens, Imperiale Logiken und die Rückkehr der Einflusszonen, Ein Kernbeitrag des Buches ist Münklers Rückgriff auf imperiale Denkmuster, um heutige Dynamiken zu erklären. Imperien im analytischen Sinn sind nicht nur historische Reiche, sondern Ordnungsgebilde, die Ränder stabilisieren, Kernzonen schützen und die Kosten kollektiver Sicherheitsbereitstellung tragen. Nach 1990 übernahmen die USA manche dieser Funktionen, ohne sie vollständig institutionell abzusichern. Mit dem Schwinden dieser Bereitschaft öffneten sich Räume für alternative Ordnungsentwürfe. Russland verfolgt in seiner Nachbarschaft eine Politik der Einflusszonen und begrenzten Souveränität anderer. China entwirft mit groß angelegten Infrastrukturinvestitionen, Handelsnetzen und technischer Standardsetzung ein Netz hierarchischer Abhängigkeiten, das ohne klassische Annexionen auskommt, aber faktische Steuerungsgewalt erzeugt. Münkler zeigt, wie diese imperialen Logiken in die Gegenwart übersetzt werden: Nicht formale Kontrolle, sondern die Fähigkeit, Verkehrswege, Ressourcenflüsse und Entscheidungsspielräume anderer zu beeinflussen, wird zur Währung der Macht. Gleichzeitig verschieben sich die Orte der Ordnungspflege. Die Peripherien werden zu Prüfsteinen: Wer Stabilität an Rändern sichern kann, definiert den Kern. Die Europäer erleben das an ihrer Ost und Südflanke, wo Grenzregime, Migrationsströme, Energiepfade und Sicherheitsgarantien zusammenlaufen. Münkler warnt vor normativer Selbstberuhigung. Ohne die Fähigkeit, Sicherheit als öffentliches Gut bereitzustellen, verlieren Akteure Einfluss auf Regelsetzung. Deshalb braucht Europa ein Verständnis von Ordnung, das nicht im Gegensatz zu Werten steht, aber auf Macht und Kostenbewusstsein gründet. Er plädiert für eine Politik der abgestuften Verantwortung: Kerninteressen klar schützen, Ränder mit Partnern stabilisieren, Risiken teilen. Dieser imperiale Blick ist kein Aufruf zur Expansion, sondern eine Einladung, geopolitische Geometrien zu verstehen. Wer Einflusszonen ignoriert, wird von ihnen überrollt. Wer sie verantwortungsvoll gestaltet, kann Erosion und Eskalation begrenzen.
Drittens, Kriegsformen des 21. Jahrhunderts: Hybridität, Stellvertretung und die Ökonomie der Gewalt, Ausgehend von seiner früheren Forschung zu neuen Kriegen beschreibt Münkler die Transformation der Gewalt. Kriege folgen immer seltener klassischen Schemata klarer Fronten und eindeutiger Kriegsparteien. Stattdessen beobachten wir hybride Konstellationen, in denen militärische Mittel mit Desinformation, Cyberangriffen, verdeckten Operationen, wirtschaftlichem Druck und juristischen Verfahren verknüpft werden. Stellvertreterkonflikte erlauben es Großmächten, Risiken auszulagern, die Eskalationsschwelle zu kontrollieren und plausible Abstreitbarkeit zu wahren. Der Einsatz von Söldnern, Milizen, privaten Sicherheitsfirmen und technologischen Systemen wie Drohnen senkt Kosten und verändert Verantwortlichkeiten. Münkler analysiert diese Ökonomie der Gewalt nüchtern: Entscheidend ist, wie Akteure Kostenstrukturen manipulieren, um asymmetrische Vorteile zu erzielen. Wer billige Mittel gegen teure Systeme setzt, kann hochgerüstete Gegner binden. Wer Informationsräume prägt, verschiebt die Legitimitätsskala. Zudem rückt die Resilienz ziviler Gesellschaften in den Mittelpunkt. Kritische Infrastrukturen werden zu Frontlinien, Versorgungsketten zu Zielscheiben, Sanktionen und Exportkontrollen zu Waffen. Dadurch verschwimmt die Grenze zwischen Krieg und Frieden. Münkler fordert, diese Verwischung ernst zu nehmen: Abschreckung muss glaubwürdig, Verteidigung mehrschichtig, gesellschaftliche Widerstandskraft gestärkt sein. Das betrifft Energie, Ernährung, digitale Netze und den Schutz urbaner Räume. Gleichzeitig mahnt er Maß an. Nicht jede Intervention erhöht Sicherheit, manche produziert Nebenwirkungen und Verwundbarkeiten. Erfolgreich ist, wer Eskalationsmanagement beherrscht, Prioritäten klar setzt und begrenzte Ziele wählt. Aus dieser Perspektive wird der Ukrainekrieg zu einem Laboratorium der Gegenwart: klassische Landkriegsführung trifft auf Drohnen Schwärme, Präzisionswaffen, Informationskrieg und die Politisierung globaler Märkte. Die Lehre lautet, dass moderne Kriegsführung weniger durch heroische Schlachten als durch die dauerhafte Fähigkeit entschieden wird, Systeme am Laufen zu halten, Verluste zu kompensieren und Verbündete zu halten.
Viertens, Geoökonomie und die Politisierung der Verflechtungen, Ein zentrales Motiv des Buches ist die Waffe der Interdependenz. Was einst als Garant des Friedens galt, wird zunehmend zum Hebel strategischer Beeinflussung. Münkler zeigt, wie Energie, Rohstoffe, Logistikkorridore, Finanzarchitekturen, Datenströme und technologische Standards zu Machtressourcen geworden sind. Sanktionen, Exportkontrollen und die Entkopplung sensibler Technologien verändern die Spielräume von Staaten und Unternehmen. Wer Schlüsselkomponenten beherrscht, definiert die Regeln. Wer an Flaschenhälsen sitzt, kann Preise setzen und Verhalten steuern. Daraus folgt keine Absage an Globalisierung, sondern ihre Neuvermessung. Verflechtungen werden selektiv gesichert, diversifiziert und resilient gestaltet. Münkler argumentiert, dass Europa von einer passiven Handelsmacht zu einer aktiven geoökonomischen Akteurin werden muss. Das betrifft die Sicherung kritischer Rohstoffe, den Schutz geistigen Eigentums, die Industrialisierung klimaneutraler Technologien und die Durchsetzung fairer Marktbedingungen. Ebenso wichtig ist die Verteidigung offener Seewege und digitaler Infrastrukturen. Geoökonomie erfordert Kapazitäten, die lange als unromantisch galten: Lagerhaltung, Redundanzen, Standardsouveränität, Finanzierungskraft für Transformationsindustrien und die Fähigkeit, mit Partnern verlässliche Tauschbeziehungen aufzubauen. Münkler warnt vor zwei Irrtümern: der naive Glaube an Selbstregulierung und die Illusion autarker Unabhängigkeit. Kluges Interdependenzmanagement liegt dazwischen. Es setzt auf robuste Lieferketten, auf Risikoaufteilung entlang von Allianzen, auf realistische Übergänge statt radikaler Brüche. Zugleich betont er die normative Dimension: Wer Regeln der Geoökonomie prägt, setzt Maßstäbe für Datenschutz, Nachhaltigkeit, Arbeit und Wettbewerb. Hier entscheidet sich, ob die internationale Ordnung fragmentiert oder in kompatiblen Blöcken stabilisiert wird. Für Unternehmen heißt das, Geopolitik als festen Bestandteil von Strategie und Governance zu begreifen. Für Politik bedeutet es, wirtschaftliche Stärke als Sicherheitsfaktor zu kultivieren und die soziale Akzeptanz der Anpassung zu sichern.
Schließlich, Europas Bewährungsprobe: strategische Autonomie, Ränder und Verantwortung, Im europäischen Kapitel verbindet Münkler Diagnose und Empfehlung. Europa ist in eine Welt multipler Mächte hineingewachsen, ohne die Instrumente einer klassischen Ordnungsmacht konsequent zu entwickeln. Es bleibt wirtschaftlich stark, sicherheitspolitisch jedoch abhängig und politisch fragmentiert. Die Zeitenwende macht deutlich, dass Wohlstand ohne Sicherheit nicht zu halten ist. Münkler plädiert für strategische Autonomie als Fähigkeit zur eigenständigen Lagebeurteilung, Prioritätensetzung und Handlungsfähigkeit, nicht als Abkehr von Partnern. Der Eckpfeiler ist die glaubwürdige Abschreckung in Europa, getragen von NATO und einer substanziell aufgewerteten europäischen Säule. Dazu gehören Rüstungskooperation, Munitions und Instandhaltungskapazitäten, Schutz kritischer Infrastrukturen und die Fähigkeit, die östliche und südliche Nachbarschaft zu stabilisieren. Die Ränder sind Schlüsselzonen. Wer dort Sicherheit, Energieversorgung, Migration und wirtschaftliche Entwicklung zusammen denkt, begrenzt die Krisenanfälligkeit im Inneren. Münkler fordert Pragmatismus im Umgang mit Partnern jenseits der EU, inklusive abgestufter Integrationsangebote, die Interessen und Werte austarieren. Ebenso wichtig ist die industrielle Grundlage. Ohne wettbewerbsfähige Zukunftsindustrien, verlässliche Energie und kluge Regulierung bleiben politische Ambitionen leer. Münkler ruft dazu auf, knappe Ressourcen auf wenige strategische Projekte zu konzentrieren, statt sie zu verzetteln. Schließlich betont er die Bedeutung politischer Führung. In einer Welt der knappen Zeitfenster braucht Europa Entscheidungskraft, die nationale Horizonte übersteigt. Das verlangt Koalitionen der Willigen, die vorangehen und Nachzügler mitziehen. Europas Rolle in der Welt wird sich daran entscheiden, ob es vom Regelnehmer zum Regelsetzer zurückfindet, Risiken teilt und Lasten schultern kann. Die Alternative wäre eine Randfigur in Ordnungsprozessen, die andere definieren.